Walter Wortmann, Fraktionsvorsitzender

Walter Wortmann, FRAKTIONsvorsitzender

Walter Wortmann (75) ist der neue FRAKTIONsvorsitzende der FRAKTION im Rat der Stadt Köln. Im großen Spätsommerinterview berichtet er von seinen Plänen und Vorstellungen.

Einstimmig zum FRAKTIONsvorsitzenden

Hallo Walter, du wurdest jetzt im September zum FRAKTIONSvorsitzenden gewählt. Herzlichen Glückwunsch dazu. Eigentlich war die Wahl aber für den Oktober geplant? 

Das ist richtig. Als wir im September 2021 Karina Syndicus von der Wählergruppe GUT in Die FRAKTION aufnahmen, haben wir vereinbart, dass der FRAKTIONsvorsitz nach zwei Jahren von GUT auf ein Mitglied der PARTEI übergeht. Das wäre jetzt im Oktober der Fall gewesen, dem kam Karina mit ihrem Austritt zuvor. 

Ein Austritt, der überraschend war? 

Für mich nicht. Sowohl die Ratsgruppe der Klimafreunde als auch die von GUT sind ja schon früh in der Wahlperiode zerbrochen. Sowas schwingt bei den kleineren Wähler:innengruppen immer mit. Darum haben wir Die FRAKTION auch mit drei Mandatsträger:innen der PARTEI gegründet. Wir konnten also auf solide und etablierte Strukturen zurückgreifen. Nach dem Austritt von GUT hat das Team dann die notwendigen Dinge in wenigen Tagen abgearbeitet.

Was waren denn die Gründe für die Trennung? 

Das politische Selbstverständnis von GUT Köln (Quelle: Twitter)

Das politische Selbstverständnis von GUT Köln (Quelle: Twitter)

Wir haben immer gut und respektvoll zusammengearbeitet. Sowohl auf Ebene der Ratsmitglieder als auch mit den Sachkundigen in den Ausschüssen. Thematisch gab es natürlich vereinzelt Differenzen, aber keine unüberwindlichen Hindernisse. Gerade bei Themen wie der Verkehrswende oder Erhalt der Grünflächen und insbesondere den Kleingärten hatten wir gemeinsame Positionen. 

Der Unterschied zu GUT waren vielmehr kultureller Art. Die Wählergruppe GUT sieht sich ja als Stichwortgeber des Mehrheitsbündnisses. Das ist überhaupt nicht unser Selbstverständnis. Wir bekennen uns als investigative Einheit im Rat zur Opposition. Unsere Aufgabe ist es, der herrschenden Mehrheit auf die Finger zu hauen, nicht sich ihnen anzubiedern. 

Logische Alternative: Die PARTEI

Du kommst selber von den Freien Wählern zur PARTEI und hast Die FRAKTION mitgegründet. Was hat dich zum Wechsel veranlasst? 

Ich bin erst sehr spät zur Politik gekommen. Eigentlich hat mich die Kommunalpolitik nicht sonderlich interessiert. Dann ist 2009 das Stadtarchiv eingestürzt, und das hat mich aufgeweckt. Wie die Politik und die KVB mit dem Einsturz umgegangen sind, das hat mich unglaublich wütend gemacht. Das macht es heute noch. Drei Menschen haben durch das Unglück ihr Leben verloren und das kulturelle Erbe der Stadt ist beträchtlich geschädigt oder verloren gegangen. Da darf es kein Weiter so geben.

Ich habe mich dann bei “Köln kann auch anders” engagiert. Wir haben jahrelang jeden Montag vor dem Kölner Rathaus demonstriert, im Hochsommer wie im winterlichen Schneesturm. Wir wollten eine lückenlose Aufklärung des Unglücks und der Strukturen, die es begünstigt haben. Und daraus entwickelte sich eine Art APO in der Kölner Politikszene, weit über das Thema Einsturzstelle hinaus. So bin ich dann irgendwann bei den Freien Wählern gelandet.

Die waren anfangs sehr sachorientiert. Da konnte ich mich mit meinen Schwerpunkten gut einbringen. 2016 bin ich dann für die Freien Wähler in den Rat nachgerückt und habe das Mandat bei der Kommunalwahl 2020 verteidigen können. Leider hat der Erfolg der Freien Wähler in Bayern, wo sie seit 2018 in der Regierung sind, nicht gutgetan. Der Umbau von lokalen Wählergruppen zu einer landesweiten Parteiorganisation hat reaktionäre Kräfte heraufbeschworen, die auch vor reinem Populismus nicht zurückschrecken. So war etwa für die Freien Wähler Klimaschutz kein Thema.

Für mich war klar, dass ich diesen Laden verlassen muss. Ich wollte aber auch nicht ganz auf mich allein gestellt weitermachen. Bei der PARTEI mit Birgit Beate Dickas und Michael Hock hat mir sofort imponiert, dass die kein Blatt vor den Mund nehmen. Im Kölner Stadtrat ist Die PARTEI die einzige Partei, die eine unbefleckte Weste hat. Das ist wirklich so, und das ist in der Kölner Politik eine Ausnahme. Deshalb gab es für mich auch keine Alternative.

Herausforderungen und Chancen: Walters Schwerpunkte als Fraktionsvorsitzender

Als FRAKTIONsvorsitzender setzt du jetzt die Schwerpunkte der FRAKTION. Was ist dir besonders wichtig? 

Klimaschutz hat die höchste Priorität. Klimaschutz ist die drängenste Herausforderungen unserer Zeit. Die Erhaltung unseres Planeten und die Sicherung einer lebenswerten Zukunft für kommende Generationen hängen in hohem Maße von effektiven Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen ab. Der Klimawandel bedroht nicht nur die Umwelt, sondern auch unsere Gesundheit, unsere Wirtschaft und unsere soziale Stabilität. Wir werden hier vor Ort einen enormen Aufwand betreiben müssen, um uns an die Folgen des Klimawandels wie etwa Extremwetterereignisse anzupassen, dürfen die globale Perspektive aber nicht aus den Augen verlieren. Dem muss sich alles unterordnen.

In der Tagespolitik sind für mich diese vier Punkte elementar: 

1. Daseinsfürsorge

Steht oft: Die Kölner Stadtbahn

Steht oft: Die Kölner Stadtbahn

Die Stadt muss die notwendigen Mittel, Güter und Dienstleistungen gewährleisten, egal ob das Schulen, Kitas, Tagespflege, Krankenhäuser, ÖPNV, Energie und Verwaltung betrifft. In Köln findet das aber unter abenteuerlichen Umständen statt. Das erleben die Bürger:innen, die z.B. ein Kind in die Kita bringen wollen oder für die Schule anmelden möchten, jeden Tag. Auch Ehrenamtler und Kulturschaffende verzweifeln, wenn sie sich auf die Stadt verlassen müssen.

Ich mache schon viele Jahre Verkehrspolitik und sitze bei VRS/go.Rheinland in der Verbandsversammlung und im Strategie-Ausschuss. Der Ausbau des ÖPNV muss vorangebracht werden und darf nicht, wie bei der Ost-West-Achse, hinter fadenscheinigen Bündnisverpflichtungen zurückbleiben. Hier muss viel mehr, viel schneller geschehen. Die Planungen sind schon seit Jahren auf dem Tisch, aber deren Umsetzungen verzögern sich aufgrund vielfältiger Einflussfaktoren. 

2. Bürgerbeteiligung und Transparenz
Immer noch wird über die Köpfe der Bürger:innen hinweg entschieden. Oft ist die Bürger:innen-Beteiligung eine Farce, wie beim Ausbau der Rodenkirchener Brücke oder bedeutenden Bauvorhaben (z.B. Rondorf, Parkstadt Süd). Oder es werden „Politische Begleitgremien“ gebildet, die vollends intransparent oder gar nicht agieren. Das ist für eine Stadt Köln, die ja durch Geheimnistuerei und Vorteilsnahme genug gemolken wurde, kein gutes Zeichen. Diese Strukturen sind immer noch etabliert, quer durch alle großen Parteien. Zusammen mit Thor Zimmermann von GUT habe ich damals 2016 das Gutachten über die Umstände, die zum Verkauf des Messegrundstücks an den Oppenheim-Esch-Fond geführt haben, vorangebracht und 2019 alles dafür getan, dass es nicht der Öffentlichkeit vorenthalten wird. Trotzdem passieren in der Stadt immer wieder unerklärliche Dinge, wie der Stadtwerkeskandal, der Wechsel von Niklas Kienitz (CDU) auf einen Dezernentenposten, das verschwundene Feuerwehrfahrzeug (Seite 11), eine 14 Jahre währende, milliardenschwere Bühnensanierung oder eine never-ending Archäologische Zone.

3. Grund und Boden
Die Stadt muss ihr Eigentum sichern und die starke Rolle des Landlord gegenüber spekulativen Elementen einnehmen und behaupten. Sie muss bestimmen, was auf ihrem Grund und Boden geschieht, nicht die Investoren und Projektentwickler. Das geht in Köln drunter und drüber. Wenn es den Investoren nicht passt, wird einfach nicht weiter gebaut oder damit gedroht, oder sie gehen Pleite. Das hat direkte Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt. Köln braucht Wohnungen, pro Jahr 6000. Gebaut wurden 2022 aber nur knapp 2600. Das sind 22% weniger als das Jahr davor. Und ein zunehmend großer Anteil davon sind die renditeträchtigen Einzimmer-Wohnungen. Wir brauchen mehr Erbpacht (auch für Gewerbeimmobilien), mehr Anwendung des Vorkaufsrechts und mehr Entwicklung und Bauausführung durch die Stadt oder stadteigene Tochtergesellschaften. Der Landlord Stadt steigt im Wettbewerb mit in den Ring. Ich wäre froh, wenn sich die Stadt mit dem gleichen Elan, mit dem sie Großinvestoren unterstützt, um die berechtigten Interessen junger Menschen an Treffen und Feiern kümmert. Stattdessen werden wie am Aachener Weiher Barrieren aufgebaut und junge Menschen vergrault.

4. Finanzen
In meinem Berufsleben habe ich als Manager für namhafte Unternehmen gearbeitet und die letzten 30 Jahre als selbständiger Unternehmensberater. Heute betreue ich als Mitglied der Wirtschaftssenioren NRW Gründungsprojekte und begleite mit Vorliebe Langzeitarbeitslose auf dem Weg in die Selbständigkeit. Nur, ohne Knete geht nichts. Das ist die Realität.

Die bittere Wahrheit ist aber auch: Wenn ich als Ratsmitglied heute über Ausgaben und Haushalte mitentscheide, muss ich eine Perspektive haben, das irgendwann zurückzuzahlen, selbst dann, wenn meine Wahlperiode abgelaufen ist. Hier macht Köln eine ganz schlechte Figur. Für Prestigeprojekte wie die Museumsbauten, die Oper oder die Neue historische Mitte wird ein Geld rausgehauen, als gäbe es kein Morgen. Während der Stadtrat über der Aufgabe grübelt, welches Großbauprojekt gestrichen werden kann, stellt die Verwaltung eine Vorlage zur Sanierung des Fernsehturms Colonius bereit, der der Stadt nicht einmal gehört. Damit fehlt Geld, dass wir dringend für den Wohnungsbau, die Bildung und den ÖPNV brauchen und für den Klimaschutz und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels.

Alleine das Deutschlandticket sorgt hier im Rheinland für eine Unterdeckung in dreistelliger Millionenhöhe, die die Städte und Kommunen ausgleichen müssen. Da muss dringend ein Konzept her, sonst kommt die Stadt auf dumme Gedanken und dreht möglicherweise an den Hebesätzen der Grundsteuer oder Gewerbesteuer; eine Spirale, die letztendlich zu einer sprungfixen Neuverschuldung führen muss. 

Für ein Mitglied der PARTEI sind das eher ungewöhnlich konkrete Vorstellungen. Wo bleibt da die Satire? 

Hier in Köln ist es wirklich schwierig, mit Satire zu punkten, weil es mit den anderen Parteien im Rat so viel Konkurrenz gibt. Aber wir finden unsere Nische. Satire ist das Werkzeug, und das werden wir nutzen. Wir bleiben grau statt bunt und erhöhen die Hundesteuer nur moderat.

Bild KVB: Mika Baumeister auf Unsplash