Eingang des Krankenhauses Holweide

Eine kurze Geschichte der Krankenhausfinanzierung

Um die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Kliniken der Stadt Köln zu verstehen, muss man einen Blick auf das System der Krankenhausfinanzierung werfen. So lassen  sich die Probeme auf drei Ursachen zurückführen: Eine zu geringe Investitionskostenförderung durch das Land, das Fallpauschalensystem auf Bundesebene und Missmanagement auf kommunaler Ebene. Die ersten beiden Aspekte beleuchten wir hier genauer.

Krankenhäuser dürfen nicht geschlossen werden! Das scheint so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz der Politik zu sein. Krankenhausschließungen sind extrem unpopulär, was bei Politiker:innen dazu führt, die Problemlösung lieber in die nächste Wahlperiode zu verschieben. Krankenhäuser sind nicht nur wichtige Arbeitgeber, sondern ebenso für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung mitverantwortlich. Aber auch für Standortschließungen gibt es gute Gründe: Falsche Annahmen über die Bevölkerungsentwicklung, Bevölkerungswanderung, Personalmangel, medizinischer Fortschritt und Ambulantisierung, vor allem aber fehlende Patient:innen. Unter GesundheitswissenschaftlerInnen herrscht seit langem Einigkeit darüber, dass es in Deutschland zu viele Krankenhäuser gibt und dass dies für viele Probleme unseres Gesundheitswesens mitverantwortlich ist.   

Weil PolitikerInnen sich nicht durch Klinikschließungen ihre Karriere verderben lassen wollen, haben sie zu folgendem Trick gegriffen: Sie verändern einfach die Rahmenbedingungen so, dass die Krankenhäuser irgendwann aufgeben und selbst Standorte schließen

Investitionskosten? Mangelware!

Krankenhäuser gehören ebenso wie Feuerwachen, Polizeistationen, Schulen oder Trinkwasserbrunnen zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Für die Krankenhausfinanzierung muss der Staat aufkommen. Das gilt auch für die Investitionskosten der Krankenhäuser, also die Kosten für den Bau und die Instandhaltung der Gebäude und der (medizin-)technischen Ausstattung. Seit den 70er Jahren gilt das Prinzip der dualen Finanzierung: Die Investitionskosten tragen die Länder, die laufenden Kosten die Krankenkassen. 

Bis Anfang der 90er Jahre hat dies auch einigermaßen funktioniert. Seitdem erhöhen die Länder die Investitionskostenzuschüsse nicht mehr, was wegen der allgemeinen Preissteigerung einer Senkung der Förderung gleichkommt, oder sie senken sie sogar. Aus Sicht der Länder ist das durchaus verständlich: Reichen die Investitionskostenzuschüsse nicht aus, müssen die Krankenhäuser ihre Investitionskosten aus den Erlösen für die Behandlung, also aus den Zahlungen der Krankenkassen, decken. Diese sind aber in der Regel bundesweit tätig. Mit diesem Kniff beteiligt ein Bundesland alle Einwohner Deutschlands an der eigenen Krankenhausfinanzierung und nicht nur die Bevölkerung des eigenen Bundeslandes. In Zahlen ausgedrückt: Statt der als notwendig erachteten 9 % des Umsatzes liegt die Investitionsquote derzeit bei etwa 3 %. 

Quelle: https://wirtechniker.tk.de/2018/12/14/das-sagen-selbstverwalter-zu-krankenhausinvestitionen/

Fallpauschalen: Mehr Nachteile als Vorteile

Vor der Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2003 wurden die Behandlungskosten nach Tagessätzen abgerechnet. Vereinfacht gesagt wurden die Behandlungskosten, also Medikamente, Personal, Verbrauchsmaterial, Verwaltung usw., die in einem Jahr anfielen, von den Krankenkassen refinanziert (Selbstkostendeckungsprinzip). Diese Kosten wurden dann durch die Anzahl der Behandlungstage geteilt, die von diesem Krankenhaus erbracht wurden. Daraus ergaben sich die Kosten pro Behandlungstag, die zwischen dem Krankenhaus und den Krankenkassen für das Folgejahr abgerechnet wurden. Der Tagessatz war also ein Abschlag auf die Jahreskosten und wäre im Folgejahr angepasst worden. Dieses System wurde kritisiert, da es einen Fehlanreiz für eine längere Verweildauer als medizinisch notwendig darstellte (z.B. Entlassung montags statt freitags) und zudem Krankenhäuser mit schlechter Organisation und Behandlung belohnte. 

Ein Fallpauschalensystem sollte dies verbessern, das DRG-System. Dabei erhält das Krankenhaus für einen Behandlungsfall, der einer bestimmten Diagnosegruppe (Diagnostic Related Group, DRG) zugeordnet ist einen festen Wert, ausgedrückt in einer sogenannten Bewertungsrelation. Dabei spiegelt eine Bewertungsrelation von 1 einen durchschnittlichen Aufwand wieder, beispielsweise die Blinddarmentfernung mit Bauchfellentzündung. Die einfache, unkomplizierte Blinddarmoperation ohne Bauchfellentzzündung und ohne schwere Nebenerkrankungen hat eine Bewertungsrelation von 0,77, die Implantation einer Kniegelenksprothese 2,553. Um den Erlös zu berechnen wird die Bewertungsrelation mit dem Landesbasisfallwert multipliziert. 2003  beträgt er in NRW  3.994,46 Euro. Die einfache Blinddarmentfernung wird demnach mit 3.074,24 Euro vergütet. Alle Bewertungsrelationen eines Jahres zusammengerechnet ergeben den sogenannten Case Mix (CM). Dieser geteilt durch die Anzahl der behandelten Patient:innen ist der Case Mix Index (CMI), eine wichtige Kennzahl, die den durchschnittlichen Aufwand pro Patient:in eines Krankenhauses ausdrückt.

Die Bewertungsrelationen der mittlerweile knapp 1300 DRGs werden aus den Durchschnittskosten eines Falles an 282 Krankenhäuser ermittelt, die dazu ihre Kosten an das InEK, das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, melden müssen. Vereinfacht ausgedrückt: Die Verweildauer ist für die Höhe des Erlöses nicht mehr relevant, sondern nur noch der Fall, und zwei Fälle bringen mehr als einer. 

Quelle: DESTATIS

Die Krankenhäuser standen also vor dem Problem, dass die Investitionskostenförderung nicht ausreichte und die Fallpauschalen zwar einen errechneten Durchschnittswert, aber nicht die tatsächlich anfallenden Kosten abdeckten, gleichzeitig aber die Abrechnung der tatsächlichen Kosten verhinderten, da sie bundeseinheitlich vorgegeben waren. Die Zahl der Krankenhäuser und der betriebenen Betten ging zwar zurück, aber nicht in dem Maße, wie es sich die Politik vielleicht erhofft hatte. Die Häuser begannen dafür, massiv Bereiche wie Reinigung, Küche oder Wäscheversorgung an externe Anbieter auszugliedern. Außerdem schlossen sie sich zu Verbünden zusammen, um Synergieeffekte zu realisieren. 

Viele viele neue Fälle

Vor allem aber machten die Krankenhäuser eines: Sie behandelten mehr Patient:innen. Viel mehr. Neben dem Anreiz, schwerere Fälle zu behandeln, ist es vor allem lukrativ, mehr Patient:innen zu behandeln. Heute hat Deutschland mit Abstand die meisten stationären Behandlungen aller OECD-Länder, schafft dies wundersamerweise mit einer Anzahl an Pflegekräften im Mittelfeld und erreicht dennoch nur eine durchschnittliche Lebenserwartung. 

So sind ab den 2010er Jahren Neubauten von Funktionstrakten aus dem Boden geschossen, in denen mit weniger Personal mehr Patient:innen in kürzerer Zeit operiert werden können. In Holding Areas werden Patient:innen vor einem Eingriff geparkt, um sie verzögerungsfrei in die OP-Säle einschleusen zu können. Ärztinnen und Ärzte haben sich als OP-Manager:innen auf den Weg gemacht, die Auslastung der Operationssäle durch Effizienzanalysen und Ressourcensteuerung bis auf die Minute genau zu durchleuchten und zu optimieren. Mit Kodierassistent:innen und Medizincontroller:innen sind neue Berufsfelder entstanden, um sich im DRG-System nicht nur korrekt, sondern auch geschickt zu bewegen. Auf Seiten der Krankenkassen wurde der Medizinische Dienst aufgerüstet, um fortan auf die Jagd nach fehlerhaften Abrechnungen zu gehen. Für die klammen Krankenhäuser ging es dabei nicht nur um die Erlöse selbst, sondern auch ihre Liquidität. Wie knapp die Rücklagen der Krankenhäuser sind, kann man vielleicht daran ablesen, dass die unter den Corona-Bedingungen einführte Frist, in der die Kassen eine Krankenhausrechnung zahlen müssen, von 30 Tagen auf 5 Tage verkürzt wurde. 

„Die Holding-Area ist von der Flughafenkoordination abgeleitet: Bevor ein Flugzeug startet, werden die Passagiere in einem Bereich gesammelt. So ähnlich verläuft es auch in der Klinik.“ (Aus der Fachzeitschrift Management Krankenhaus)

Dabei ist vor allem das Pflegepersonal unter die Räder gekommen. Die Zahl der Pflegekräfte nahm mit der Einführung der Fallpauschalen zunächst noch ab (und damit auch Ausbildungskapazitäten, was sich heute bitter rächt). Gleichzeitig mussten deutlich mehr Patient:innen versorgt werden. Während der ärztliche Bereich personell aufgestockt wurde, um diese Behandlungsflut zu bewältigen, wurde die Pflegeleistung zum reinen Kostenfaktor degradiert. Die Entwicklung wurde so dramatisch, dass der Gesetzgeber 2020 die Pflegekosten aus den Fallpauschalen herausgelöst hat und diese separat für jeden Tag der Krankenhausbehandlung vergütet werden. Damit wird die pflegerische Tätigkeit als Leistung dargestellt.

Quelle: DESTATIS

Dabei ist längst erwiesen, dass eine bessere Ausstattung mit Pflegepersonal den Patient:innen zugute kommt.

Besonders problematisch am System der Fallpauschalen ist aber, dass nur die Leistung, nicht aber die Vorhaltung der Leistung vergütet wird. Bei der Feuerwehr wäre die Vorstellung absurd, dass sie sich nur über geleistete Einsätze finanzieren muss. Bei den Krankenhäusern ist das die Realität. Besonders erschwerend ist dabei, dass die Krankenhausambulanzen mehr und mehr den hausärztlichen Notdienst ersetzen, die Erlöse dafür aber nicht kostendeckend sind.  Auch weitere Abteilungen sind davon betroffen, besonders die Kinder- und Jugendmedizin. 

Über-, Unter- und Fehlversorgung

Trotz der enormen Anstrengungen bleibt festzuhalten: Das System, das wir uns leisten, ist nicht gut. Ein stationärer Aufenthalt ist für demente Patient:innen oft eine Katastrophe. Die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung sind problematisch und mit hohen Reibungsverlusten verbunden. Um Gewinne zu erzielen, müssen die Krankenhäuser unter den Durchschnittskosten bleiben, die an den DRG-Kalkulationskrankenhäusern ermittelt werden. Dies führt dazu, dass der Durchschnitt wieder sinkt, die Häuser wieder versuchen, den Durchschnitt zu unterbieten und so weiter. Das Phänomen ist als Hamsterrad- oder Kellertreppeneffekt bekannt.

Die Digitalisierung ist rückständig und nur dort zeitgemäß, wo sie helfen kann, mit weniger Personal mehr Patient:innen zu versorgen, wie etwa in der Radiologie. Die Anreize verleiten zu schwereren, invasiveren Eingriffen. Behandlung und Diagnostik orientieren sich an DRGs, nicht an medizinischer Notwendigkeit. Die Krankenhäuser haben ihre Prozesse entsprechend optimiert. So ist ein Operationstermin heute viel schneller zu bekommen als ein Termin für eine Schmerztherapie, die eine Operation überflüssig machen könnte, weniger Risiken birgt und deutlich günstiger ist. Statt monatelang auf einen Termin beim niedergelassenen Facharzt zu warten, schickt der Hausarzt seine Patient:innen lieber in die terminfreie Sprechstunde des Krankenhausarztes.