Das Verhalten der Stadt Köln lässt nicht nur Kinder ratlos zurück.

Die bizarre Welt der Kindertagespflege

Die Kindertagespflege in Köln ist existenziell bedroht, aber die Stadt sieht keinen Handlungsbedarf. In der bizarren Welt der Kindertagespflege steigen weder Mieten noch Preise, aber Gehälter sinken und hunderten Frauen droht die Altersarmut. 

Mit dem Kinderförderungsgesetzes von 2013 wurde die Kindertagespflege als gleichwertige Betreuungsform neben der Kita anerkannt und rechtlich reguliert. Eltern haben seitdem einen Rechtsanspruch auch auf die Betreuung von unter Dreijährigen. Einen wesentlichen Teil dieser Aufgabe erfüllen die Kindertagespflegepersonen, die dafür bestimmte Qualifikationen erfüllen müssen. Ihre Tätigkeit wird von den Jugendämtern überwacht und gefördert. 

Wird der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung in Köln erfüllt?

In kaum einem Bereich der Stadt Köln klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie bei der Kinderbetreuung in Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Während die Stadt immer wieder einen Ausbau der Betreuungsplätze vermeldet, leben Eltern und Kinder in ständiger Unsicherheit, ob die Betreuung tatsächlich gesichert ist oder gar vom (Los-)Glück abhängt. Kinder, die bereits durch die lückenhafte Betreuung und Förderung während der Corona-Pandemie benachteiligt sind, geraten so ein zweites Mal ins Hintertreffen.

Stadt äußert sich unvollständig und irreführend

Eine Anfrage der Kolleg:innen von Volt im Hauptausschuss der Stadt Köln wurde jetzt von der Verwaltung beantwortet. Anfragen dienen dazu, Sachverhalte aufzuklären oder Informationen für zukünftige Anträge zu erhalten. Die Verwaltung ist verpflichtet, sie zu beantworten. Die Antworten sind in der Regel aussagekräftig und hilfreich, in diesem Fall aber inhaltlich dünn bis irreführend und erfordern eine Richtigstellung. 

Finanzierung der Kindertagespflege

Die Kindertagespflege wird vom Jugendamt finanziert. Die Eltern zahlen einkommensabhängige Beiträge an die Stadt. Damit wird die Inanspruchnahme der Kindertagespflege unabhängig vom Einkommen ermöglicht. An die Tagespflegepersonen werden die Sachkosten, ein Mietzuschuss und die so genannte Förderleistung gezahlt. Man muss sich diese Zahlungen im Detail anschauen, um zu verstehen, warum die Kindertagespflege gerade jetzt am Boden liegt.

Der Mietkostenzuschuss in der Kindertagespflege

Als freiwillige Leistung zahlt die Stadt Köln den Tagespflegepersonen einen Mietkostenzuschuss, sofern die Betreuung in angemieteten Räumen stattfindet. Dieser wurde zum 1.8.2013 mit 0,50 Euro pro Kind und Betreuungsstunde eingeführt und musste bereits zum 1.1.2015 auf 1 Euro erhöht werden. Seitdem blieb er unverändert, obwohl die Nebenkosten zwischen 2016 und 2020 um circa 54 Prozent und die Mieten um rund 25 Prozent gestiegen sind. Den Tagespflegepersonen bleibt also nichts anderes übrig, als Fehlbeträge aus ihrem privaten Einkommen zu bezahlen.

Dabei gab es schon bei der Einführung des Mietkostenzuschusses im Jahr 2013 massive Zweifel, ob derart geringe Beträge ausreichen. Das räumte auch die damalige Beigeordnete Dr. Agnes Klein ein. Es sei aber schon schwierig genug gewesen, die Mehrbelastung gegenüber den beteiligten Ämtern zu vertreten. Zudem ginge man davon aus, dass der Großteil der Tagespflege in privaten Räumen stattfinden würde.

Nicht unproblematisch, denn Kindertagespflege ist eine gewerbliche Tätigkeit, die nicht ohne Zustimmung des Vermietenden in der Wohnung ausgeübt werden darf. Ob die Tagespflege in der Privatwohnung angesichts massiv steigender Mieten und des Mangels an bezahlbarem Wohnraum eine Zukunft hat, bleibt abzuwarten.

In der aktuellen Antwort auf die Anfrage sieht die Verwaltung jedoch keinen Handlungsbedarf, sondern bescheinigt sich, im Vergleich zu anderen Städten in Nordrhein-Westfalen gut dazustehen. Welche Städte damit gemeint sind, lässt sie offen. Leverkusen wird es nicht sein, denn dort werden die Mietkosten für angemietete Räume in angemessener Größe voll übernommen, und die Bonner Förderung beträgt bis zu 1103 Euro monatlich. In Düsseldorf ist sie etwas geringer, wurde aber erst 2021 angehoben.

So ist beim Mietkostenzuschuss ein Muster erkennbar, das sich durch die gesamte Finanzierung der Kindertagespflege zieht: Mangels nachvollziehbarer Berechnungsgrundlagen besteht für die Stadt auch keine Veranlassung, die Zahlbeträge an veränderte Umstände anzupassen.

Die Sachkostenerstattung für die Betreuung

Die Sachkostenerstattung beträgt 300 Euro pro in Vollzeit betreutem Kind und Monat und wurde seit 2013 nicht mehr erhöht. Sie orientiert sich an der Betriebsausgabenpauschale für selbständige Tagespflegepersonen, also dem Mindestsatz, der steuerlich pauschal geltend gemacht werden kann. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass höhere Aufwendungen steuerlich geltend gemacht werden können, während die Sachkostenerstattung der Stadt Köln nur den Mindestsatz abdeckt. Auf die Frage nach einer Anpassung an die Kostenentwicklung seit 2013 gibt die Stadt Köln die Schuld dem Land NRW. Es sei zwar geplant, die Kindertagespflege im Rahmen des “Stärkungspakets NRW – gemeinsam gegen Armut” zu unterstützen, die Modalitäten seien aber noch unklar.

In Düsseldorf beträgt die Sachkostenerstattung für ein Kind, das 40 Stunden ganztags betreut wird, ab dem 1.8.2022 306,03 Euro und ab dem 1.8.2023 309,09 Euro. In Leverkusen sieht die aktuelle Satzung zur Kindertagespflege jährliche Erhöhungen vor, derzeit beträgt die Sachkostenerstattung 325,65 Euro.

Aufgrund der deutlich gestiegenen Verbraucherpreise hat die Finanzverwaltung nun nachgezogen und die Sachkostenpauschale auf 400 Euro erhöht. Mit der im April 2022 beschlossenen Novellierung des Kinderbildungsgesetzes ist die Stadt zudem verpflichtet, die laufenden Geldleistungen an die Tagespflegepersonen jährlich anzupassen, will sie nicht die Landesförderung nach § 24 Abs. 3 Nr. 9 Kinderbildungsgesetz verlieren. Auch hier haben die umliegenden Kommunen ihre Satzungen längst angepasst, nur in Köln scheint man zu schlafen.

Die Förderleistung für Tagespflegepersonen

Mit diesem sperrigen Begriff ist die Vergütung für die Kinderbetreuung gemeint. Von 2013 bis 2021 betrug sie 3,27 Euro und wurde zum 1. August 2021 auf 3,47 Euro pro Betreuungsstunde und Kind angehoben und mit 2% jährlich dynamisiert. Die Stadt Köln rühmt sich, dass die Dynamisierung deutlich höher ist als in Düsseldorf (0,5%) oder Bonn (1,02%). 

Die Stadtverwaltung gibt viele Rätsel auf.
Das ist so weit richtig, aber die Stadt verschweigt wesentliche Informationen. So wurde in Düsseldorf 2013 die Förderleistung auf 5 Euro pro Betreuungsstunde festgelegt und 2021 um 3 Prozent erhöht sowie die Verwaltung beauftragt, bis 2024 ein Entgeltmodell zu entwickeln, das sich an der Lohnentwicklung des TVÖD orientiert. Selbst ohne diese Anpassung würden die Kölner Kindertagespflegepersonen ihre Düsseldorfer Kolleg:innen erst im Jahr 2046 überholen. Qualifizierte Fachkräfte mit fünfjähriger Berufserfahrung erhalten in Düsseldorf sogar 5,50 Euro.

Leider sieht die Stadt Köln auch hier keinen Handlungsbedarf. Sie antwortet auf die Frage nach der Vergütungshöhe lapidar, dass leistungsgerecht bezahlt werde, lässt aber offen, ob damit die Leistung der Tagespflegepersonen oder die der Verwaltung gemeint ist. Vergleicht man die Gehaltsentwicklung von in Kitas angestellten und nach Tarif bezahlten Kinderpfleger:innen mit denen der Kindertagespflegepersonen, sind letztere heute abgehangen. Im Tarifvertrag TVÖD ist der Lohn von 2013 bis 2021 um 22,5 Prozent  gestiegen, was einer jährlichen Steigerung von 2,2 Prozent entspricht. Bei den Kölner  Kindertagespflegepersonen mit einer mageren durchschnittlichen Erhöhung von 0,95 Prozent pro Jahr ist der Reallohn hingegen gesunken.

Die Kindertagespflegepersonen

Als die damalige Familienministerin Ursula von der Leyen 2008 das Kinderförderungsgesetz vorstellte, war sie mehr als zufrieden. Mit dem Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder vom vollendeten ersten bis zum vollendeten dritten Lebensjahr sollte das Angebot europäisches Niveau erreichen. Dabei kam der Kindertagespflege eine entscheidende Rolle zu, denn allein 30 Prozent der benötigten neuen Plätze sollten durch diese Betreuungsform geschaffen werden.  

Woher das notwendige Personal letztlich kommen sollte, konnte von der Leyen, inzwischen Arbeitsministerin, erst 2012 erklären: Die sogenannten Schlecker-Frauen böten sich dafür an. Mit der Insolvenz der Drogeriekette Schlecker, einer der größten Firmenpleiten in Deutschland, wurden 13.000 Menschen arbeitslos, die meisten von ihnen Frauen ohne Ausbildung.   

Auch wenn es um 2013 gelungen ist, überwiegend Frauen für den Beruf der Tagespflegeperson zu gewinnen, ist man von einer nachhaltigen Nachwuchsgewinnung weit entfernt. Dafür sind die beruflichen Perspektiven, die Abhängigkeit vom Wohlwollen der Kommune und die negative Einkommensentwicklung zu unattraktiv. Dies spiegelt sich auch in der Altersstruktur wider. 45% der Tagespflegepersonen sind 50 Jahre alt und älter. Das bedeutet, dass in den nächsten 10 Jahren tausende Betreuungsplätze in Köln verloren gehen könnten, wenn die Betreuungspersonen in den Ruhestand gehen.  

Ob sie diesen Ruhestand genießen werden? Die Stadt zahlt auf die Förderleistung die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung. Allerdings ist die Förderleistung der Stadt Köln vergleichsweise gering und damit auch die Höhe der Rente. Eine Kindertagespflegeperson, die fünf Kinder mit 35 Wochenstunden betreut, hätte zwischen 2013 und 2022 in Düsseldorf über 33.000 Euro mehr in die Rentenversicherung einbezahlt als ihre Kölner Kolleg:in. Damit sind Kindertagespflegepersonen in Köln unmittelbar von Altersarmut bedroht. 

Es bleibt festzuhalten, dass nur wenig von den Erfolgsmeldungen der Stadtverwaltung übrig bleibt. Vielmehr bestätigt sich wie schon bei der Aufforderung zum Abbau der Außengastronomie der Eindruck organisierter Verantwortungslosigkeit.